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43. Engadin Skimarathon (13.03.2011)

Ein Erlebnisbericht von Sonja Deiß

 


In der Woche vor dem zweiten Sonntag im März dreht sich im Engadin zwischen Maloja und S-chanf (fast) alles um den Skimarathon, der größten Langlaufveranstaltung in der Schweiz, die in diesem Jahr zum 43. Mal stattfand und fast 11.000 Läufer an den Start lockte. Auch einige Pfälzer zieht es dann in die verschneiten Berge und die zugefrorenen Seen, über die der erste Teil des Marathons führt.

Als Läuferin und Sommerbiathletin liegt es irgendwie auf der Hand, auch mal das Laufen auf den schmalen Brettern auszuprobieren. Zum ersten Mal begab ich mich im Jahr 2004 auf die Langlaufskier und auch ins Engadin, und von da an ging die „Faszination Engadiner“ los. Damals verzichtete ich zunächst noch auf einen Start, fieberte aber umso mehr mit den Teilnehmern in der Unterkunft, der Jugendherberge in St. Moritz Bad, mit. Im Jahr 2005 stand ich dann zum ersten Mal an der Startlinie und musste mit den Tränen ringen, so emotional war das Ganze auf Grund der theatralischen Musik. Nach dem äußerst widrigen Lauf 2006, mit heftigstem Gegenwind (die Angaben reichen von 80 bis100 km/h) legte ich erst einmal eine Pause ein, bevor ich mich im letzten Jahr und auch vergangenen Sonntag wieder der Herausforderung stellte.

Optimalerweise sollte man schon einige Tage vor dem Lauf anreisen, denn die Höhe von 1.700/1.800 m erfordert schon eine gewisse Akklimatisierung. So begab ich mich am Montag vor dem Lauf in dieses Hochtal, um noch ein bisschen auf die Skier zu gehen und dabei die Marathonstrecke in Abschnitten zu besichtigen. Ab Dienstagmorgen ging es damit los, gemeinsam mit zwei weiteren Mitläufern stand ein lockerer Lauf zum Start nach Maloja und zurück auf dem Programm, flach – und daher optimal für den ersten Tag auf den schmalen Brettern seit zwei Monaten. Am nächsten Tag begab ich mich mit den beiden zum Ziel und auf dem Weg dahin durch die beim Engadiner von vielen gefürchteten Golanhöhen, die bei falscher Renneinteilung am Ende viel Kraft und damit Plätze kosten. Der Weg hin und zurück (über 50 km) wäre für uns alle zu anstrengend gewesen, so hatten wir vorab das Auto 5 km vor dem Ziel abgestellt und am Ende knapp über 30 km absolviert, konnten uns trockene Sachen anziehen und dann zurück zur Unterkunft fahren. An diesem Abend gab es für Interessierte die Möglichkeit, sich mit neuesten Sportmedizinischen Informationen zu versorgen – auf dem sogenannten Sportmedizinischen Symposium ging es diesmal unter anderem um das Ausdauertraining in der Höhe.

Ab dem nächsten Tag öffnete das „Village“. Dort präsentierten sich die Sponsoren des Engadiner Skimarathons sowie etliche Hersteller von Langlaufskiern und was noch dazu gehört. Ein Highlight innerhalb dieser Tage waren die Workshops, die von Athleten der Schweizer Nationalmannschaft durchgeführt werden. Dort kann man sich in einem kurzweiligen ca. 45 Minuten andauernden Skikurs den letzten Schliff für den großen Tag am Sonntag holen.

An den letzten Tagen vor dem Marathon sind nur noch wenige Laufkilometer angesagt, alles, was jetzt übertrieben wird, muss man am Tag des Rennens sicher büßen. Große Themen unter den Läufern sind währenddessen das Wetter und die Skipräparation für den Marathon. Welches Wachs sollte man nehmen?, welche Struktur? – oder doch keine? –, sollte man bügeln oder korken?... Die Tipps und Ansichten sind so vielfältig wie die Athleten.

Am Abend vor dem Marathon gibt es in der Jugendherberge traditionell immer Spaghetti mit verschiedenen Soßen. Nach dem Essen geht es dann an das Richten und Packen der Kleidung für das Rennen und danach, denn die Nacht wird kurz.

Bereits um 5 Uhr klingelt der Wecker, danach geht es erst mal zum Frühstück, logischerweise ist es da noch dunkel. Schon gibt es erste Gerüchte: Es schneit. Glauben tue ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht, denn wenn man aus dem Fenster schaut, lässt sich in der Dunkelheit noch nichts davon erkennen. Nach dem Frühstück und mit allen Sachen bepackt, die man für diesen Tag so braucht, geht es gegen 7 Uhr auf zum Bus. Während des etwa 1 Kilometer langen Fußmarsches während der Morgendämmerung sieht man nun doch, dass es leicht schneit, was aber kein Grund zur Sorge ist. Wir erreichen direkt einen Bus, der uns nach etwa 30 Minuten zum Startgelände bringt. Dort erwartet uns ein reges Schneetreiben und wir suchen uns zunächst einen Platz im Windschatten. Die sogenannten Malojawinde sind zwar beliebt, bedeuten sie doch Rückenwind, aber bis zum Start will man lieber an einem windgeschützten Ort sein, dem Schnee kann man allerdings nicht entkommen. Nach einem Gang zur Toilette – einem der in langen Reihen stehenden Dixis – platziere ich meine Ski im Bereich für meine Startgruppe, der sogenannten Hauptklasse B mit den roten Nummern. Leider ist nur noch in der 5. Reihe Platz, eigentlich wäre ich gerne aus der 2. Reihe gestartet, weil mein Ziel die „grüne Gruppe“, also die nächstvordere Startgruppe ist, die 15 Minuten eher startet und bei guten Bedingungen unter drei Stunden das Ziel erreicht.

Nach dem Ablegen der Ski stapfe ich den weiten Weg durch den Schnee wieder zurück zu meinen Sachen. Dort steige ich in die Langlaufschuhe, entledige mich einiger Kleidungsstücke und bringe meinen Effektensack, also den Kleiderbeutel, zum richtigen der 42 LKWs und begebe mich wieder auf den weiten Weg zu meinen Skiern, die ich kurz suchen muss, aber das dauert zum Glück nicht lange. Ganz kurz vor dem Start taucht eine verzweifelt herumirrende junge Frau auf, die tatsächlich noch nach ihren Skiern sucht. Zu diesem Zeitpunkt hat mir bereits eine nette Nachbarin geholfen, den festgetretenen Schnee aus meinen Schuhen zu entfernen, sodass ich in die Bindung komme. Die Aufwärmgymnastik ist da schon im vollen Gange, aber dafür bleibt keine Zeit, der Weg zu den Skiern muss heute genug Aufwärmprogramm sein!

Endlich um 9.05 Uhr fällt der Startschuss. Wie zu erwarten, kann ich erst mit einer Verzögerung loslaufen und muss die ersten Kilometer erst mal mit der Masse „schwimmen“. Meine Skier laufen durch den lockeren Neuschnee, der den Untergrund langsam macht, erstaunlich gut, nur sind zu viele Leute im Weg, um tatsächlich davon profitieren zu können. Also bin ich erst mal damit beschäftigt, meinen Vordermännern und -Frauen nicht von hinten reinzufahren, bevor ich dann irgendwann hoffentlich mein Tempo gehen kann. Am Aufstieg zur Sprungschanze heißt es „Einreihen“ und dann langsam hochstapfen und hoffentlich gut oben ankommen, ohne dass jemand auf einem Ski oder Stock steht oder einen gar zu Fall bringt. Oben angekommen, geht es aber schon bald wieder bergab, günstigstenfalls in der Klassikspur, die eine kleine Ruhephase ermöglicht. Auch ich gehe in diese Spur, allerdings ist sie ganz schön ruckelig, weil aufgeweicht und von den vielen vorderen Läufern entsprechend in Leidenschaft gezogen. Weiter geht’s danach durch viele wellige Streckenabschnitte mit „stockendem Verkehr“, wie es bei einer Verkehrsmeldung heißen würde. Dies bedeutet, Geduld bewahren, in die Schlangen, die sich bergauf bilden, einreihen und auf der Kuppe ankommen. Zwischendurch entdecke ich zwei Zuschauer, mit denen ich auch verabredet war, und lasse meine Laufjacke und eine meiner beiden Laufmützen dort. Auch wechsele ich meine dickeren Windstopper-Handschuhe gehen ein paar dünnere. Dann geht es schon wieder weiter, es gilt, nicht so viel Zeit zu verlieren und gut durch den Starzer Wald zu kommen.

Die Abfahrt in diesem Bereich wird auch „Matratzenabfahrt“ genannt, denn dort hat man früher Matratzen an die Baumstämme gebunden, um schlimmeren Verletzungen bei Läufern vorzubeugen, die aus Versehen gegen einen Baum fahren. Das passiert heute immer noch, doch die Matratzen werden inzwischen von orangefarbenen Schaumstoffmatten ersetzt. Dieser Streckenabschnitt ist auch ein beliebter Ort von Zuschauern, denn hier gibt es eine Lachgarantie! Im Vergleich zum letzten Jahr tue ich dem Publikum diesen Gefallen aber nicht und komme gut runter. Kurz danach, in Pontresina, ist schon „Halbzeit“, für die Läufer des Halbmarathons Zieleinlauf, für den größeren Teil gilt es, sich gut zu verpflegen: mit Sportgetränken, Bouillon, Tee, einem Stück Banane oder Reisküchlein. Der folgende Streckenabschnitt ist recht flach, und endlich gibt es gut Platz, um die Ski endlich mal richtig laufen zu lassen. Entsprechend laufe ich an etlichen Leuten vorbei. In einem Moment der Unachtsamkeit kommt mein rechter Stock zwischen die Skier – und plumps liege ich da. Zum Glück können die nachfolgenden Läufer ausweichen, ich stehe so schnell wie möglich auf und laufe weiter, die Schmerzen vergehen mit der Zeit.

Nach dem Flughafen in Samedan kommt ein Streckenabschnitt, der vereist und rutschig ist, entsprechend unsicher fühlt man sich auf den schmalen Brettern, die ja keine Kanten haben, wie die Abfahrtsskier. Nachdem ich auch diesen Teil der Strecke hinter mir gelassen habe, komme ich zu dem Schild „noch 10 km“, der Sprecher verkündet, dass bereits 2:28 Stunden vorbei sind und der Sieger eine Zeit von 1:39 Stunden hat. Dies bedeutet, dass ich mein Ziel, in weniger als 3 Stunden zu finishen, wohl verfehlen werde, aber auch, dass die Zeit des Siegers drauf hinweist, dass es heute kein schnelles Rennen ist. Bei besten Bedingungen liegt die Siegerzeit nämlich bei unter 1:30 Stunden. Aber die bevorstehenden Golanhöhen sollen ja noch kommen und ich hoffe, dann endlich meine Stärken ausspielen zu können. Leider kommt es dann doch etwas anders. Kurioserweise sind so spät im Rennen noch viele Läufer eng zusammen, was bedeutet, dass man nicht sein eigenes Tempo gehen kann, sondern sich wieder „brav“ einreihen muss, um die kleinen Anstiege zu passieren. Die Kilometer zum Ziel werden immer weniger, 5, 4, 3, 2, selbst beim letzten Kilometer ist ein freies Laufen nicht möglich, auch hier gibt es Stau, was selbst noch erfahrenere Läufer als mich überrascht. Nach über 42 km und einer Zeit von 3:06:20 Stunden laufe ich über die Ziellinie – und nach der Überreichung der Teilnahmemedaille habe ich gleich das Gefühl, dass das Rennen heute noch länger hätte gehen können. Allerdings bin ich mit dieser Meinung wohl so ziemlich alleine. Viele klagen im Ziel über die schwierigen Bedingungen auf Grund des Neuschnees, der bremst, und die teilweise tiefen, weichen und entsprechend schwer zu laufenden Loipen. Ich jedoch war beim Engadiner noch nie so schnell und habe mich im Ziel noch nie so gut gefühlt.

Nach der Ankunft hole ich mir den Zielstempel ab, der von eifrigen Grundschülern auf die Stoffstartnummer gestempelt wird, gehe zu den Verpflegungsständen, hole meinen Effektensack ab und laufe zur Dusche. Auch der Rücktransport mit dem Zug verläuft reibungslos.

Zurück in der Unterkunft werden unter den Teilnehmern die Erfahrungen ausgetauscht. Einige warten sehnsüchtig auf die Qualifikationszeiten für das nächste Jahr. Leider stellt sich beim Abrufen dieser Zeiten heraus, dass ich die Norm für meine Wunschgruppe um 30 Sekunden verpasst habe, wie ärgerlich. Am nächsten Morgen beim Frühstuck erfahre ich von einem Schweizer, dass er in einem vergangenen Rennen diese Norm um 1,5 Sekunden verfehlt hatte.

Nun, zurück in der Pfalz, gilt es die schneefreie Zeit gut zu überstehen, um beim nächsten Engadiner am 11.03.2012 wieder fit an den Start gehen zu können.

Anmerkung der Redaktion: Sonja Deiß platzierte sich auf Rang 609 unter allen 1676 Frauen und erzielte in der Damen-Hauptklasse B den 147. Platz von 495 Teilnehmerinnen. Ergebnisse und alle Informationen auf der Veranstalter-Website  <link http: www.engadin-skimarathon.ch>www.engadin-skimarathon.ch