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300 Kilometer rund um den Montblanc (22.-28.08.2011)

Carsten Schneehage vom Bad Dürkheimer Laufclub bestand in der vergangenen Woche ein ganz besonderes Lauf-Abenteuer. Innerhalb von fünf Tagen lief er rund 300 Kilometer mit etwa 23.000 Höhenmetern durch das Hochgebirge. Am Montagabend 22 Uhr ging’s in Chamonix los, am späten Samstagabend um Mitternacht war er zurück – nach 122 Stunden, 16 Stunden vor Zielschluss.

Dieser augenzwinkernd „La Petite Trotte à Léon“ (PTL), also „der kleine Spaziergang des Leon“, genannte Lauf ist alles andere als ein Spaziergang. Er wird jedes Jahr in Chamonix im Rahmen des Ultra-Trail du Mont-Blanc (UTMB) veranstaltet, führt aber jedes Mal über eine andere Hochgebirgsroute weiträumig um das Montblanc-Massiv herum – durch drei Länder: Frankreich, Italien und Schweiz – und ist grundsätzlich deutlich länger und schwerer als der UTMB, der mit 166 Kilometern und 9.500 Höhenmetern in maximal 46 Stunden bereits als einer der schwersten Berg-Ultramarathons Mitteleuropas gilt. Dieser Herausforderung stellte sich der 36-jährige Schneehage im Zweierteam (Team SOQ.de) mit Harald Bajohr aus Darmstadt. Beide sind schon im vergangenen Jahr in Schweden beim Gax Trans Scania gemeinsam über 250 km durchs Gelände gelaufen (siehe Link ganz unten).

Beim PTL handelt es sich nicht um einen Wettkampf im klassischen Sinne mit markierter Strecke, Unterwegs-Verpflegung, Siegerpreisen und Rangliste. Es wird nur registriert, wer wann wieder in Chamonix ankommt – oder auch nicht. Hier heißt das Motto: Jeder, der ankommt, ist ein Sieger. Am Montagabend starteten in Chamonix 69 Zweier- oder Dreier-Teams, bis zum Zielschluss am Sonntag nach 138 Stunden kamen 46 an – auch die mitgezählt, die nach Ausfall eines Teamkameraden im Rennen verblieben. Allerdings absolvierten nur fünf Teams die komplette 302 km lange Originalrunde mit 25.000 Höhenmetern. 17 weitere, darunter Carsten Schneehage, wurden unterwegs aus Sicherheitsgründen dreimal auf Alternativrouten umgeleitet, die wegen der großen Gewittergefahr die exponierten Höhen mied und sich mehr an den Tälern orientierte. Die Gesamtstrecke dieser Teams, einschließlich Schneehage, wird auf 290 km und 23.000 Höhenmeter geschätzt. Das ist auch der Grund, weshalb Carsten Schneehage und seine französischen Partner (siehe weiter unten) zum Schluss noch so nah auf die Schnellsten aufliefen (und als inoffiziell fünftschnellstes Team das Ziel erreichten), weil diese doch einige Höhenmeter mehr erklettern mussten. 24 weitere Teams erreichten zwar das Ziel in Chamonix, aber auf zuletzt verkürzter und entschärfter Route, weil sie nicht mehr im Zeitplan lagen.

Vom Start an war Abenteuer pur angesagt. Vor allem das Laufen in der Nacht – mit Stirnlampe – stellte die Läufer oft vor ungeahnte Herausforderungen. Denn die völlig unmarkierte Route führte oft weglos durch einsames und schwieriges hochalpines Gelände, meist in Höhen von über 2.000 Metern und über hohe schwierige Pässe bis in 3.000 Meter Höhe. Der Veranstalter stellte das Kartenmaterial zur Verfügung, auf dem die Strecke eingezeichnet war – inklusive GPS-Daten –, ansonsten war jedes Team auf sich allein gestellt. An zwei Punkten, nach 110 (in Morgex, Italien) und 195 Kilometern (Champex, Schweiz), gab es sogenannte Rastplätze, an denen die Teams ein paar Stunden schlafen und Material deponieren konnten. So musste nicht die gesamte Verpflegung für fast sechs Tage mitgeschleppt werden. Außerdem standen ein paar Berghütten an der Strecke, in denen sie einkehren konnten.

Jedes Team bekam ein GPS-Modul mit Peilsender mit auf den Weg, sodass der Veranstalter per GPS-Ortung über die Standorte aller Teams im Bilde war. Und über das Internet konnten auch Außenstehende den Weg der Teams verfolgen, indem die Positionen der einzelnen Teams auf Google-Earth-Basis dargestellt wurden. Ein stets aktualisierter Live-Bericht auf dieser Basis war auf dieser Website zu lesen (siehe Live-Bericht ganz unten). Allerdings bereitete die Technik Probleme. Von Schneehage gab es nach drei Tagen keine neue Positionsmeldung mehr, das Signal war von da an bis zum Schluss an einer Berghütte „eingefroren“, als wenn er dort für die nächsten zwei Tage Quartier genommen hätte. Mindestens 15 andere Teams waren auch von derartigen Defekten betroffen, sodass die Beobachter am Computer-Bildschirm leider nur lückenhafte Informationen vom Rennverlauf bekamen.

„Die Schwierigkeiten der Route haben mich nicht überrascht“, erzählt Schneehage, der schon zahlreiche Berg-Ultramarathons bewältigt hat. Aber sein Teamkamerad tat sich schwer mit dem hochalpinen Gelände, das alpinistische Erfahrung – Kletterfähigkeiten, Schwindelfreiheit und Trittsicherheit auch im vereisten und verschneiten Gelände – voraussetzte. Nach zwei Tagen fällte Harald Bajohr die vernünftige Entscheidung und stieg am Rastpunkt Morgex bei Kilometer 110 aus. Der PTL ist zwar ein Teamwettbewerb, aber wenn ein Partner aussteigt, so die gängige Praxis, läuft der andere weiter, indem er sich ein anderes Team sucht, das ihn mitnimmt. Denn das Alleinelaufen ist aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Carsten Schneehage fand freundliche Franzosen, die ihn in ihr Team aufnahmen. Von da an ging es zügig voran, weil alle Teampartner gleichwertig waren und sich auch hervorragend bei der oft schwierigen Orientierung ergänzten. Das Ziel erreichten sie am Ende eher, als erwartet.

„Das Schlimmste war der Schlafentzug“, berichtet Schneehage. Während der gesamten fünf Tage habe er insgesamt nur 14 Stunden geschlafen, einmal waren es sechs Stunden, sonst höchstens drei Stunden am Stück. Das war nicht ungefährlich: „Beim Laufen oder Gehen fielen mir manchmal die Augen zu, als es in anspruchsvollem Gelände an Abgründen entlang ging. In der Nacht hatte ich dann auch ein paar Mal Halluzinationen“, erzählt er. Das schnellste Team hätte nur insgesamt fünf Stunden geschlafen, hörte man in Chamonix.

Auch das Wetter und die extremen Temperaturunterschiede setzten den Läufern gehörig zu. In der Nähe von Martigny in der Schweiz empfing sie im Tal Hitze von 30 Grad. Nicht viel später froren sie in luftiger Höhe im eiskalten Wind. Vor dem angesagten Wettersturz in der Nacht von Freitag auf Samstag erreichten sie noch rechtzeitig eine Hütte. Am Morgen danach herrschte eisige Kälte, und nachdem sie bei winterlichen Verhältnissen an einem Klettersteig senkrecht in die Höhe geklettert waren und am verschneiten Gipfel ankamen, begann ein Schneesturm.

Dieser Lauf hat alles geboten – Abenteuer pur eben. Und wie übersteht man so eine Tortur? „Mir geht’s gut, in meinen Beinen spüre ich nichts, habe nur ein paar Blasen an den Füßen“, sagt Schneehage nach dem Zieleinlauf. Die große Müdigkeit kam erst am nächsten Tag.

Infos zu den Ultratrails am Montblanc siehe <link http: www.ultratrailmb.com _blank external-link-new-window externen link in neuem>www.ultratrailmb.com, Bericht von Harald Bajor unter <link http: www.soq.de magazin artikel soq-de-team-beim-ptl-vier-beine-auf-abwegen _blank external-link-new-window externen link in neuem>www.soq.de.
Bericht in der Tageszeitung DIE RHEINPFALZ, Regionalausgabe Bad Dürkheim, vom 01.09.2011 <link fileadmin user_upload sonstige_dateien_und_fotos rp11-09-01-ptl.pdf download herunterladen der datei>hier